Freitag, 30. Dezember 2011

Wandermärchen (Teil 2)

Viele Jahre sind ins Land gezogen, seit dem Moment in dem die sechs Männer erkannt hatten, dass ihnen Vertrauen fehlte.
Nach dem Blick in die Kugel hatte dann ein Wort das Andere ergeben, worauf die Führer zornig aufgesprungen waren und wort- und grußlos die Tür der Hütte hinter sich ins Schloss geworfen hatten. Die vier hatten dann noch mit den Weibeln Rat geschlagen, was denn nun zu tun sei. Man war überein gekommen, dem Tourismusverband Mitteilung zu machen: Kein Vertrauen in der Mannschaft, Expeditionserfolg gefährdet. Und das tat man auch.

Die Führer waren ihrerseits aktiv geworden. Die Mannschaft hätte ihnen das Vertrauen entzogen, war die Sicht Ihrer Dinge. Und der Leiter des Tourismusverbandes schäumte und tobte. Er befahl die sechs zum wöchentlichen Rapport, um Funktionieren abzusichern, und er beauftragte einen expeditionserfahrenen engen Vertrauten, die beiden Führer an der Hand zu nehmen.
Doch es half alles nicht.

Letztendlich entband er alle Sechs von ihren Aufgaben, suchte neue Führer und Geführte. Der Vertraute nahm sie bei der Hand, zeigte ihnen, wie es geht. Und siehe, die Erfolge stellten sich ein. Gipfelfotos machten die Runde, erst vom Anningerschutzhaus, später von der Aiger Nordwand, und nachdem sich der Vertraute anderen Aufgaben zugewendet hatte auch von Piz Buin und selbst Mount Everest schien in greifbarer Nähe.

Alles schien in bester Ordnung, bis durch Zufall Zweifel an der Echtheit der Gipfelfotos aufkam. Anninger blieb zweifelsfrei. Doch die Aiger Nordwand erinnerte plötzlich in einem untrügerischen Detail an die Lutterwand bei Rodaun und der Piz Buin an den Peilstein im südlichen Wienerwald...
Fortsetzung folgt.

R@iner am 30.12.2011
Fabel aus dem Berufsleben, meinen Wasserfall-Gefährten gewidmet.

Wandermärchen (Teil 1)

Donnerstag, 24. März 2011

Großvater an Enkelsohn (Brief)

Mein Enkelsohn!
Vor mir steht ein junger Mann in zerrissenen Jeans und fleckiger Jacke, mit fahrigem Bart und verschlissenen Schuhen, der sein von Dreadlocks versetztes wirres Haar mit einer alten Stoffwindel am Kopf bändigt.
Ich kann diesen Anblick nicht ertragen.
Denn wenn ich dich ansehe, dann sehe ich das Bild von einem Hippie aus den 60er Jahren. Einen Menschen, der dem, was mir damals wichtig war und heute wichtig ist, den Rücken gekehrt hat. Ich sehe das Bild von einem dieser Aussteiger, die sich in die griechischen Höhlen von Matala (http://de.wikipedia.org/wiki/Matala) zurückgezogen haben. Die sich mit Ihresgleichen zukiffen, ihre Seele im Wind baumelnd in den Tag hinein leben. Ohne Verantwortung zu übernehmen, ohne Ziel.
Ich sehe das Bild von einem, der am Karlsplatz herumhängt. Einen Drogenabhängigen, einen Obdachlosen, einen Bettler und Schnorrer, einen Nichtsnutz.
Zu Kriegsende 1945 war ich 15. Wir hatten nichts. Winzige Gemeindewohnung, kaum etwas zu essen. Mein Ziel war, raus aus dem Dreck. Raus aus der Enge, raus aus dem Mangel.
Meine Strategie war Arbeiten und Geld verdienen.
Wenn ich sage, "du tust nichts," dann meine ich, du tust nichts, was mir wichtig ist. Denn mir ist wichtig, Arbeit haben und Geld verdienen. Den Unterhalt bestreiten. Ich will Ordnung. "Ordnung ist das halbe Leben." Und ich will Sicherheit. Sicherheit, dass ich nie wieder im Dreck lande, in der Enge, im Mangel.
Darum ist's mir mein ganzes Leben lang gegangen, und das vermisse ich bei dir.
Dein Bild zu ertragen, würde mir abverlangen, dass ich mich ändere. Ich müsste das für gut erachten, was Dein Bild für mich verkörpert. Ich müsste die Mentalität, die ich hinter diesem Bild und hinter dem was du tust vermute, akzeptieren. Aber das will ich nicht. Ich will mich nicht ändern.
Das Gute in dir, mein Enkelsohn, es ist so gründlich hinter meinen Vorurteilen verborgen, dass ich nicht im leisesten auf den Gedanken komme, danach zu suchen.
Und das hindert mich daran, dich zu lieben.
Ich will dich nur lieben, wenn du in mein Schema passt.
Schneid' dir die Haare, rasier' dich und zieh dir was ordentliches an.
Und lass mich, ich bin müde.
Hochachtungsvoll
Dein Großvater
(Entwurf)
Frei nach einer Begebenheit vom 23.03.2011

Dienstag, 1. Februar 2011

Das goldene Verpackungspapier

Es war ein mal ein Mann, der hatte eine kleine Tochter.
Die vergeudete eine ganze Rolle goldglänzendes Verpackungspapier, um eine Schachtel zu verzieren, und weil Geld knapp war, wurde er wütend, und er schimpfte sehr.
Am folgenden Morgen brachte das kleine Mädchen die Geschenkschachtel ihrem Vater und sagte: "Das ist für dich Papa!"
Der Vater war verlegen, weil er am Vortag so geschimpft hatte.
Er öffnete beschämt die Geschenkschachtel und wurde wieder zornig als er sah, dass sie leer war.
"Weißt du denn nicht, junge Dame, dass wenn man jemand ein Geschenk gibt, auch etwas in der Verpackung sein soll?!" sagte er und runzelte die Stirn.
Das kleine Mädchen betrachtete ihren Papa mit Tränen in den Augen und sagte: " Aber Papa, schau! Sie ist nicht leer. Ich hab so viele Bussis hineingegeben, bis sie ganz voll war!"
Der Vater war ganz zerknirscht, und plötzlich war ein Klotz im Hals und die Augen wurden ihm schwer.
Er legte die Arme um seine kleine Tochter, drückte sie fest an sich, und bat sie, ihm seinen unnötigen Zorn zu verzeihen.
Kurze Zeit später starb das kleine Mädchen bei einem Unfall.
Der Vater behielt die Goldschachtel, die er von seiner kleinen Tochter geschenkt bekommen hatte sein ganzes Leben lang neben seinem Bett. Immer wenn er durch schwierige Probleme entmutigt wurde, öffnete er seine Goldschachtel und stellte sich vor, einen Kuss von seinem kleinen Mädchen herauszunehmen, und erinnerte sich dabei an die Liebe dieses Kindes, die sie dort hineingegeben hatte.

Jeder von uns hat so eine goldene Schachtel, die gefüllt ist mit bedingungsloser Liebe und Küssen von unseren Kindern, von Familie und von Freunden.
Das ist der kostbarste Besitz, den man haben kann.

Stark angelehnt an den Inhalt einer Schneeball-Spam vom Jänner 2011, Autor unbekannt.

Donnerstag, 4. März 2010

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Mutter und Tochter (Kurzmärchen)

Es war einmal eine Mutter, die gebar ein wunderschönes Mädchen.
Als es höchste Zeit war für die Tochter, erwachsen zu werden, da war die Mutter erfüllt von Liebe, und noch mehr von Sorge.
Sie drückte die Tochter an sich und nahm ihr den Atem. Jetzt weint sie am Grab und hadert mit den äußeren Umständen.
 
(Ähnlichkeiten mit (noch) lebenden Personen oder Institutionen ungewollt und rein zufällig)
 
R@iner
 

Mittwoch, 11. Februar 2009

Der König und das neue Rennpferd

Es war einmal ein König, der hatte 7 Pferde im Stall.
Die Pferde waren mit der Zeit in die Jahre gekommen, und der König beschloss, seine Berater zu versammeln, damit sie ihm das beste Rennpferd suchen mögen, um Ersatz für sein Ältestes zu finden. Die anderen, so bestimmte er, die mögen im Jahresrhythmus getauscht werden.
Eines nach dem Anderen. Wobei auf ein gewisses optisches Gleichmaß Wert zu legen wäre, das ließ er seine Berater wissen.
Gesagt, getan. Die Berater gingen zu Werke, und sie begaben sich auf die Suche.
Der König hatte viele Berater.
Er hatte Spezialisten für Geschwindigkeit, Ausdauer, Ernährung, Fellpflege, Hufpflege, um nur die wichtigsten aus den Fachbereichen zu benennen. Und er hatte Experten für Umweltschutz, für Gesundheit und Arbeitnehmerschutz. Und seit er sich von einem fahrenden Händler hatte eine sogenannte ISO-Zertifizierung aufschwatzen lassen, da hatte er auch noch eine Reihe von Beratern für allgemeine Tugenden: Einen für Project Integration Management, einen für Project Scope Management, einen für Project Time Management, einen für Project Cost Management, einen für Project Quality Management, einen für Project Human Resources Management, einen für Project Communication Management, einen für Project Risk Management, und einen für Project Procurement Management. Und fast hätte ich vergessen zu erwähnen, seine Stallgehilfen, die waren gewerkschaftlich organisiert und sie hatten natürlich einen frei gestellten Betriebsrat, das versteht sich von selbst und das sei bloß am Rande erwähnt.
Die Tage zogen ins Land, und es schien, als wäre die Suche schwieriger, als ursprünglich angenommen.
Der König war neugierig und er bekam regelmäßig Bericht. Die Berichte, die der König erhielt, ließen die Probleme erahnen, mit denen sich die Berater herumzuschlagen hatten. Die Probleme waren vielfältig und erstaunlich komplex, aber die Berichte ließen ausreichend Raum für Zuversicht.
Der Tag der Übergabe des neuen Rennpferdes war zwar immer wieder verschoben worden, aber der König blieb hoffnungsvoll angesichts seines ungetrübten Vertrauens in seine Experten. Im Ende werde wohl das beste Rennpferd gefunden sein, man scheute schließlich weder Kosten noch Mühen, und sein Wunsch war Befehl.
Und wenn sich schon einmal ein leise aufkommender Zweifel erlaubte aufzukeimen, dann beeilte sich der König, diesen eilig hinweg zu wischen. Was hätte er denn ausrichten können, ganz alleine, in seinen königlichen Gemächern, hoch oben im Turm? Und dass er selbst über die Wartezeit alt und grau geworden war, das übersah er geflissentlich. Wer will den schon gerne an sein eigenes Altern erinnert werden.
Die Spannung war groß. Und letztendlich war der Tag doch noch gekommen, an dem der König sein neues Rennpferd besteigen sollte.
Der Hofstaat war angetreten, der Zeremonie den gebührlichen Rahmen zu geben, und der König schickte sich an, die feierlich geschmückte Arena zu betreten, in der ihm das neue Rennpferd übergeben werden sollte.
Schon von Weitem hörte der König ein aufgeregtes Gemurmel und Geraune von den Rängen, das zu erklären er sich nicht vermochte. Doch als er die königliche Loge betrat, und sich der Blick auf das Ergebnis der umfassenden Suche auftat, war seine Erstaunen groß.
Vor seinen Augen, da stand ein Kamel.
Perfekt in seiner Art und einzigartig. Mit zwei wogenden Fettreservoirs am Rücken, jederzeit in der Lage, längeren Hungerperioden zu trotzen. Mit breiten haarigen Hufen, die ein Einsinken im Treibsand der Dünen verhindern. Mit langen schlanken Beinen, die einen wiegenden Gang garantieren, optimal für die ohnehin angeschlagenen Bandscheiben seiner Durchlauchten Majestät. Resistent gegen Wassermangel über mehrere Wochen, und dumm wie das Stroh, dem es permanent malmend trotz ärgster Dürre das letzte Tröpfchen an Flüssigkeit abzuringen im Stande war. Strohdumm sozusagen, apathisch und entsprechend einfach zu handhaben.
Bloß Rennen würde er damit keines gewinnen, das war ihm wohl klar, aber die Lust dazu war dem König über die Jahre ohnehin abhanden gekommen, und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er wohl noch heute.

Für jene, die ein Märchen mit positivem Ende haben möchten: Es gibt auch Kamelrennen, und der König hielt sich gut im Durchschnitt seiner Konkurrenten.

R@iner (nach einer Anregung von John H.)

Dienstag, 17. Juni 2008

Die Ameise

Es war einmal...
eine Ameise. Die lebte mit anderen Ameisen in einer Ameisenkolonie.
Sie war Arbeiterameise. Harter Job, kann ich Dir sagen. Den ganzen Tag Tannennadeln schleppen.
Und frustrierend war der Job auch. Zu wenig Anerkennung, kaum Individualität. Nichts entstand so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Alles erschien zufällig und machte ihr wenig Sinn.
Kaum hatte sie eine Nadel den Ameisenhügel hinauf geschleppt und abgelegt, schon kam eine andere Ameise, und schleppte die Nadel wieder hinunter.
Die Ameise war nicht die einzige, die frustriert war, mit ihrem Job. Es ging ihnen allen so.
Den Arbeiterkolleginnen ebenso wie den Soldatinnen, die sich auswärts regelmäßig Scharmützel mit anderen Kolonien lieferten.
Und den Ameisenmännchen ging's auch nicht anders, obwohl man denen nach sagte, sie hätten ohnehin bloß das Eine im Sinn.
Und irgendwo mitten drinnen, lag die Königin in ihren Dauerpresswehen und fühlte sich wie eine Gebärmaschine. Unterjocht von Sachzwängen.
Was sie aber nicht wusste, die Ameise:
Am Ameisenhaufen kauerte R@iner und staunte über das Wunderwerk, das die kleinen Tierchen da in den Wald hinein gestellt hatten. Ein hoch komplexes Gebilde mit selbst regulierender Klimatisierung. Ideal konstruiert zum Schutz des ganzen Volkes in Sommer und Winter. Ein Bollwerk gegen Wind und Wetter, trotz seiner vergänglichen Fragilität.

Freitag, 7. Dezember 2007

Wandermärchen

Es waren einmal sechs Bergsteiger, die zu einer Expedition aufgebrochen waren.

Drei von ihnen waren schon sehr lange als damals begeisterte Wanderer in der Buckligen Welt unterwegs gewesen, einer war Führer, die beiden anderen wurden geführt.
Vom Tourismusverband war dann eine Expedition mit ungewissem Ziel beauftragt worden, das den Wanderern als reizvolle Aufgabe erschien. Sie erklärten sich bereit, und der Tourismusverband stellte zur Absicherung des Expeditionserfolges einen Bergführer bei.
Der erste Führer war ein wenig irritiert über diese ungebetene Hilfe, gewöhnte sich aber schließlich an die neue Situation und fand einen Weg, sich mit dem zweiten Führer zu arrangieren.
Die vier streiften durchs Holz, und bemerkten Defizite. Sie wählten zwei weitere Mitglieder ins Team.

Zu sechst unterwegs im Alpenvorland wurde der Mannschaft zunehmend klar, dass sie von Wind und Wetter getrieben wohl zu Höherem aufsteigen würden müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So begannen sie darüber zu diskutieren, während sie gingen, wo es denn eigentlich hin gehen sollte.

Die Streifzüge durchs Alpenvorland waren von Rückschlägen gekennzeichnet. Immer wieder geriet der eine oder der andere der Mannschaft ins Taumeln und stürzte. Das tat weh. Das Gelächter der Anderen war groß, und das tat auch weh. Die Rügen der Bergführer waren laut, und schmerzten zum dritten Mal.

Anfangs erschienen die beiden Führer mitunter verschiedener Meinung oder gar ratlos. Mit der Zeit schienen die Meinungsunterschiede zu schwinden. Die Ratlosigkeit aber blieb.
Die Bergführer waren darauf bedacht, die Expeditionsteilnehmer in ihre Entscheidungen einzubinden. In scheinbar belanglosen Angelegenheiten versuchten sie Konsens zu finden, etwa ob man an der Quelle fünf oder sechs der leeren Flaschen mit Wasser füllen sollte, oder ob am kleinen Steinbruch das grüne, oder besser doch das gelbe Kletterseil Anwendung zu finden hätte. Der Weg zum Konsens war mitunter so mühsam und steinig, wie der Weg, den sie im Wald eingeschlagen hatten. Es gab so viele Für und Wider, die es abzuwägen galt.

Bei all dem Abwägen schien es manchem, die Entscheidung, um die gerungen wurde, wäre gar nicht wichtig. Es sei im Grunde gleich, ob keine oder alle Flaschen gefüllt würden. Und ging’s am gelben Seil den Fels empor, beschlich doch jeden Zweiten das Gefühl, das grüne wäre die weise Wahl gewesen.
Und selbst in so wichtigen Fragen wie der Interpretation der Wetterlage oder Vorgabe der Marschrichtung fand sich selten ein Weg zum Konsens.

Die Unzufriedenheit keimte und gedieh. Bei den Geführten ebenso wie bei den Führern.
Den Bergführern schienen die Bergsteiger schwach, unbeholfen, schwerfällig im Tritt. Den Bergsteigern schienen die Bergführer schwach, unbeholfen, schwerfällig im Tritt, und außerdem wenig beschlagen im Weisen der Richtung und unbeholfen im Erwerb von Vertrauen.

Der eingeschlagene Weg schien den Bergsteigern verschlungen, und wenig nachvollziehbar. Landkarten mit eingezeichneten Wegen sahen die Bergsteiger selten, und wenn überhaupt, so war nur die nähere Umgebung abgebildet. Den Blick aufs Ganze gaben sie nicht frei. Und manchmal schien es, als hätten die Bergführer selbst keine Übersichtkarte dabei. Und Zweifel kam hoch in den Bergsteigern, ob sie ihr Ziel denn je erreichen würden.

In den Bergsteigern keimte der Verdacht, ihre beiden Führer wären vielleicht überfordert, das ganze Team sicher ans Ziel zu bringen. Auch die Frage nach dem Wohin keimte wieder auf. Anninger Schutzhaus nahe bei Wien, oder über eine unbekannte Route durch die Aiger Nordwand?
Die Bezwingung der Wand, das wäre aus Sicht der Bergsteiger die anzupeilende Herausforderung gewesen, um das Auskommen des Teams sicher zu stellen.
Aber sich von diesen Bergführern sicher durch die Wand geleiten zu lassen, dazu fehlte ihnen der Mut. Denn die Führer trugen Halbschuhe, und beim Schlagen von Knoten war ihnen in jüngster Vergangenheit der eine oder andere peinliche Fehler unterlaufen.
Und das Ziel, das die Führer möglicherweise tatsächlich anvisiert hatten, schien der Mannschaft eher in der Nähe des Anninger zu liegen, und was sollten sie dort bloß?

Es war in einer seltsam anmutenden Hütte zweier Kräuterweibeln gewesen, in der der Expeditionstrupp Rast gemacht hatte. Den Wanderern waren gar seltsame Flüssigkeiten kredenzt und eigene Kräuter in die Pfeifen gestopft worden, und es war Zeit zur Einkehr, zur Besinnung. Befindlichkeiten wurden ausgetauscht und Sichtweisen.
Und als die Weibeln ihre Gäste schließlich in die eigentümliche Kugel hatten blicken lassen, die in der Mitte des runden Tisches auf sie gewartet hatte, sahen sie glasklar: Zwischen Führern und Geführten fehlte das Vertrauen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen…
Fortsetzung folgt.

R@iner am 10.3.2004
Fabel aus dem Berufsleben, meinen Wasserfall-Gefährten gewidmet.

Fortsetzung: Wandermärchen (Teil 2)

Donnerstag, 6. Dezember 2007

Der Papagei der Königin

Es war einmal eine Königin namens Evid.
Sie besaß einen Papagei, den nannte sie Astra.
Astra wohnte im wunderbaren Königsschloss in einem wunderbaren goldenen Käfig. Der war bestückt mit allem, von dem man meinen könnte, ein Papagei müsste Freude daran haben. Da waren Schaukel, Spiegelchen, Glöckchen, und da war jede Menge an Leckereien, und frisches Wasser in Hülle und Fülle.
Astra war ein schöner Papagei. Astra hatte bunte Federn und war von makellosem Wuchs, kräftig und gesund.
Astra war ein besonderer Papagei. Astra konnte sprechen, wie kaum ein anderer Papagei, denn Astra konnte Geschichten erzählen, so schön, dass die Menschen von weit her kamen, um diese zu hören.
Und Astra konnte alle Vogelstimmen der Welt nachahmen, vom ersten Ruf des Kuckuck im Frühling bis hin zum wundervollen Gesang der Nachtigal und auch die Lerche.
Und nun begab es sich aber eines Tages, dass Astra nicht mehr singen mochte, und auch das Sprechen wollte ihr nicht mehr so recht vom Schnabel gehen.
Evid hatte sich schon seit Tagen Sorgen um ihre Astra gemacht. Denn es war ihr schon längst nicht unentdeckt geblieben, dass Astras Gesang seltener geworden war und die Geschichten, die sie erzählte, hatten sich zu wiederholen begonnen. Und die Sätze, die sie sprach, waren kürzer geworden.
Evid hatte daraufhin ihre Fürsorge um den Vogel erhöht, hatte noch mehr Spiegelchen und Glöckchen in den goldenen Käfig gehängt und noch mehr Leckereien. Sie hatte den Hofarzt kommen lassen, der hatte alle seine Arzneien versucht. Und selbst der Hoflogopäde scheiterte beim Versuch, Astra das Sprechen wieder beizubringen. Gerade auf ihn hatte Evid all ihre Hoffnung gesetzt, wo er doch derjenige war, der dem lispelnden König mit seiner Kunst hatte das Zuzeln abgewöhnen können. Der Hoflogopäde galt als Zauberer im ganzen Land für diese Leistung, aber nein. Nichts hatte geholfen.
Evid war verzweifelt. Sie trauerte um ihren Papagei, und darüber, dass er krank war. Unheilbar krank, wie ihr schien.
Was kann ich bloß tun, schluchzte Evid eines Tages vor dem Käfig, und die Tränen rannen in Strömen über ihre roten Wangen.
Du musst mich frei lassen, flüsterte Astra im Käfig, und es war eher ein Hauch, als ein gesprochener Satz, der da zu hören war. Du musst mich frei lassen. Ich brauche den Duft der Blumen auf den Wiesen. Ich muss die rauhe Rinde der Bäume unter meinen Klauen spüren, und ich brauche den Wind in meinen Federn. Ich muss fliegen.
Evid hörte auf zu schluchzen, und der Tränenstrom versiegte. Astra frei lassen? Was für ein verrückter Gedanke! Was würde Evid alles verlieren, wenn sie das täte? Der schöne goldene Käfig wäre leer. Wo Astra gerade wäre, Evid wüsste es nicht. Sie fürchtete sich davor, einsam zu sein. Nein, das wollte sie keinesfalls.
Aber Astras Zustand verschlechterte sich weiter, sie aß nicht mehr, sie trank nicht mehr. Und sogar die Federn, die schon grau zu werden begonnen hatten, fingen an, ihr auszufallen.
Evid war unglücklich, und Astra war unglücklich.
Evid grämte sich und wurde grau, und Astra grämte sich und wurde grau.
Das ging lange so. Fast zu lange.
Doch eines Tages, ich glaube es war in der Zeit wo sich der Tag, an dem Evid ihre Astra bekommen hatte wieder einmal jährte, da nahm sich Evid ein Herz und ließ die Türe des Käfigs offen, bevor sie ging.
Astra was verdutzt. Völlig verdutzt. Zuerst konnte sie es gar nicht glauben.
Sehnsucht und Angst vermischten sich in ihr und machten sie ganz wirr.
Vorsichtig reckte sie den Kopf durch die Tür. Nicht, dass ihr die Welt außerhalb des Käfigs unbekannt gewesen wäre. Den Boden des Gemachs, den kannte sie wohl, und auch die Tische, die Schränke, die Bücher und den Hausrat, der überall herumstand, kannte sie.
Sie kannte es vom Sehen. Aber darin umher zu fliegen, das war nun doch etwas ganz anderes. Und dann erst das Fenster, das zum Garten hinzu offen stand. Schön war es, aber Furcht einflößend.
Astra hatte Angst. Angst vor dem Neuen. Auch Evid hatte Angst. Angst vor dem Neuen.
Astra hatte Angst davor, alleine zu sein. Auch Evid hatte Angst davor, alleine zu sein.
Astras Herz pochte rasend, als sie ihre erste Runde durch den großen Raum flog, in dem ihr Käfig stand. Was für ein erhebendes Gefühl! So spannend und aufregend. Wie froh und erleichtert war Astra, als sie nach diesem ersten Ausflug wieder wohl behalten zu ihrem Käfig zurück flatterte, um sich auf ihn zu setzen und sich auszuruhen.
Auch Evids Herz hatte gepocht, als Astra zu ihrem ersten Flug ansetzte hatte. Evid hatte im Nebenraum vor Aufregung gezittert, fast so, als wäre sie selbst diejenige gewesen, die zum ersten Mal geflogen war. Und wie froh und erleichtert war Evid, als sie sah, dass Astra nach dem Fliegen wieder wohl behalten zu ihrem Käfig zurückkehrte.
Denn dass sie das wusste, das kannst Du mir schon glauben. Evid hatte die Tür zum Nebenraum nicht ganz geschlossen, als sie ging. Und ohne dass Astra es bemerken hätte können, hatte Evid die ganze Szene durch den Türspalt beobachtet.
Von diesem Tage an blieb die Tür des Käfigs offen.
Astra konnte ein und aus, ganz wie es ihr beliebte.
Eines Tages war sogar der Hofschmied gekommen, der hatte den Auftrag, die Tür des Käfigs ganz zu entfernen. Und das tat er auch.
Astra war froh, und Evid war froh.
Astra gewann schon nach wenigen Tagen ihre Lebensfreude wieder, und bald glänzte ihr Gefieder wieder in voller Pracht. Ich glaube sogar, es ist schöner geworden. Ja, es war schöner. Viel schöner.
Ihre Worte waren wieder zu hören, und es waren viele an der Zahl. Die Sätze, die sie sprach, waren noch interessanter als früher, den sie wusste nun von Dingen zu sprechen, die niemand je zuvor hatte sprechen hören. Und ihr wundervoller Gesang erfüllte den Raum, viel heller und klarer und lieblicher als je zuvor. Und nicht bloß den Raum erfüllte er, nein, den ganzen Palast und auch den Palastgarten. Die Wiesen und die Felder, den Wald und die Flur. Das ganze Königreich.
Und so war im Ende alles gut und Evid und Astra lebten glücklich und zufrieden.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Meiner Tochter Astrid gewidmet, und ihrer Mutter Eva
R@iner (29.04.2007)